Georg Ahrens: Laudatio

anlässlich der Verleihung des Hanns-Sprung-Preises an den Maler Heinz Kassung, gehalten am 6. September 2003 im Haus Metternich, Koblenz

Heinz Kassung ist ein Koblenzer Maler. Eingespannt in das Spannungsverhältnis, das diese Region seit Zeiten prägt: Bruchkante im vulkanologischen Sinne ebenso wie im historisch-kulturellen Verständnis. Er tendiert zum Westen mehr als zum Osten, er tendiert zum Süden mehr als zum Norden. Auch wenn er sich natürlich in den Osten oder Norden begibt, dort Eindrücke sammelt und diese künstlerisch verarbeitet.

Seine Malerei ist eher westlich - französisch und südlich, mediterran - geprägt. Seine Farbigkeit, seine Thematik sowie seine Herangehensweise sind heiter, offen, leicht. Die Art seines Farbauftrags erinnert eher an einen tänzerischen Akt als einen gekonnten handwerklichen Vorgang. Aber gerade das Tänzerische muss gekonnt sein. Bei aller Behändigkeit seines Vortrages zeigt sich immer ein Hauch von Wehmut, eine gewisse Traurigkeit in seinen Bildern. Die Freude ist immer leicht gebrochen. Die Sonne am Mittelrhein ist eben nicht die Sonne des Mittelmeeres. Aber hier gibt es auch nicht die lang anhaltende Dunkelheit des nordischen Winters. Die beiden frühen Bilder aus den fünfziger Jahren haben die erdschwere, dunkle Farbigkeit des Nordens. Beide Elemente stecken in ihm. Er kennt sie und er trifft seine Entscheidung. Aber Edvart Frank ist ihm doch näher als Hanns Sprung.

Die Bilder, die Farbigkeit, die er im Verlauf seines Künstlerlebens entwickelt und hervorgebracht hat, sind Bilder und Farben des Westens und Südens. Können, Klarheit, Wille, Beherrschung des Metiers sind Selbstverständlichkeit. Einfallsreichtum, Fantasie, Beweglichkeit, Neugierde, Experiment - alles wird auf einer festen Basis untersucht und realisiert. Bei Kassung gibt es keine Beliebigkeit, keinen Zufall. Alles wird geprüft. Der spontane Einfall gehört dazu, ebenso seine Expressivität. Alles mit Maß, alles mit Effekt. Heinz Kassung ist diszipliniert. Er ist ein Künstler, der weiß, dass Kontinuität und Beständigkeit, das Immer- Weitermachen, dass Ehrlichkeit und Offenheit, verbunden mit Opferbereitschaft für die Sache, Dimensionen eröffnen; Dimensionen des Lebens und der Arbeit. Dementsprechend tauchen immer wieder die gleichen Themenbereiche auf. Die Artisten, der weibliche Akt, das Stillleben, der Hummer und die Landschaft. Hier findet er seine Möglichkeit zur Entwicklung, zum Ansatz und immer wieder zum Neuansatz.

Malerei ist für Heinz Kassung - wie Tango in Südamerika, wie Samba in Afrika - eine Frage auf Leben und Tod. Kein Pläsier, kein Vergnügen. Hochgezüchtet, immer weiter entwickelt, immer knapper formuliert, treibt Heinz Kassung seine Malerei einem Ziel entgegen, das nur er kennt, er vielleicht nur ahnt, ohne es selbst zu kennen. Aber er arbeitet immer gegenständlich. Er braucht das Vorbild, den Gedanken vom Abbild, wie der Fisch den Sauerstoff im Wasser. Er weiß um die Bedeutung der reinen Komposition, er weiß um die Bedeutung der Farbe an sich, und doch spürt er für sich die Gefahr der Unverbindlichkeit, sollte er sich ganz vom Gegenstand, von der Natur entfernen. Er braucht diese Form des Sauerstoffs, diese artifizielle, indirekte Art des Umgangs mit der Welt. Er braucht die sichtbare Oberfläche, um sich intensiv mit der darunter schlummernden existenziellen Form zu beschäftigen. Er braucht diese Art Transformation von außen nach innen, vom Körperlichen zum Geistigen, von einer Welt, in die er hineingeboren ist, zu einer Welt, wie er sie sieht und erfindet, die er sucht und die er baut. Gleichzeitig bewältigt er seine konkrete Lebensrealität.

Er hat vor dreißig Jahren nach der sich ihm bietenden Gelegenheit, nach seinem Vermögen, mit Sachverstand und Weitblick ein Atelier gebaut. Dort lebt er heute, mit vielen Ausflügen nach Norden, Süden, Osten und Westen, in großer Zufriedenheit, Sicherheit und mit Wohlbehagen. Er hat sich sein Umfeld geschaffen so wie er es braucht.

Die Arbeitsgemeinschaft Bildender Künstler am Mittelrhein (AKM) veranstaltet anlässlich der Verleihung des Hanns-Sprung-Preises an Heinz Kassung eine große Retrospektive im Haus Metternich. Wir ehren ihn, weil er ein Künstler ist, der kontinuierlich seine Lebensenergie für die Weiterentwicklung seines Oeuvres, für die Intensivierung und Komprimierung, für die immer neue Formulierung seiner Aussage eingesetzt hat. Heinz Kassung ist ein Maler, dessen Werk in seiner Qualität weit über seine Peinture hinausweist. Er zeigt uns in seiner Malerei Momente der Realität in einem poetischen Verständnis, in einer poetischen Weise, die neben der Lebensfreude auch das Vergängliche unseres Daseins beinhaltet. Er hat den von seiner Landschaft vorgegebenen Bruch durchgehalten und formuliert. Er malt nicht abstrakt und nicht gegenständlich. Er malt gut. Ich wünsche ihm weiterhin Fortune und eine reiche malerisch-poetische Ernte.