Die Kunst meiner Bilder

Als ich 1996 in der Berliner Schaubühne am Lehniner Platz das Schauspiel KUNST sah, war ich von der großartigen Beobachtung der Kunstszene durch die Autorin Yasmina Reza vollauf begeistert. Drei Freunde, Marc, Serge, Yvan haben grundverschiedene Charaktere. Serge hat ein Bild gekauft. Ein Ölgemälde von etwa einem Meter und zwanzig auf einem Meter und sechzig, ganz in Weiß. Er zeigt es seinen Freunden. Marc, ein intelligenter Junge, bricht zunächst einmal in Gelächter aus. Yvan lacht mit, um Marc zu gefallen. Dann schließlich sagt Marc zu Serge: „Hast du für diese weiße Scheiße wirklich zweihunderttausend Francs bezahlt?" Serge zu Marc: „Du hast jakeine Ahnung. Für mich ist es nicht weiß, es hat einen weißen Untergrund und dazu eine ganze Farbskala von Grautönen. Sogar Rot ist drin. Du interessierst dich nicht für die zeitgenössische Malerei, du hast dich nie dafür interessiert. Du hast nicht die geringste Kenntnis auf diesem Gebiet. Wie kannst du also behaupten, ein bestimmter Gegenstand, der Gesetzen gehorcht, von denen du nichts weißt, sei eine Scheiße? Du kannst mich am Arsch lecken!"

So viel vom Schauspiel.

Ob ein Bild weiß, rot oder blau ist, bleibt ohne Bedeutung. Von Bedeutung ist, wenn es dem Künstler gelungen ist, Beziehungen herzustellen. Das heißt, ist es ihm gelungen, zwischen den vier Seiten des Bildes und dem Inneren ein neues Beziehungsfeld aufzubauen, welches bestimmten Gesetzen zu gehorchen hat. Über das Herstellen von Beziehungen lesen Sie auch in dem hier veröffentlichten Bericht von Werner Helmes „ Das Sichtbare sichtbar machen". Den Maler interessiert nicht die Oberfläche der Dinge. Er muss die Wirklichkeit in der Tiefe beobachten. Indem er die Formen und die Schönheiten aus der Tiefe hervorholt und in sich aufnimmt, schöpft er aus der Natur die Kraft seines künstlerischen Denkens und Handelns. Und indem die Natur für ihn zum großen Vorbild wird, vermischen sich natura naturata und natura naturans. Sein Bild, seine Formen werden lebendig. Für den einen ist somit die stetige Auseinandersetzung mit der Natur von zentraler Bedeutung. Der andere kann aber auch einer Idee verhaftet sein. Beides führt möglicherweise zu etwas Neuem, zur Schaffung eines einzigartigen Kunstwerkes. Trotzdem aber spürt man, dass selbst das „ Einzigartige" auf irgendeinem Grund steht, dass alles irgendwo schon vorhanden ist oder war, nur eben verschüttet, verborgen. Der Künstler ist ein Entdecker dieser Verborgenheit. Er gräbt sie aus und gibt ihr neue Form.

Seit jenem Bruch der Geschichte, welchen gemeinhin das Wort „Moderne" markiert, bleibt dann oftmals nur noch ein einziges Zeichen übrig oder vielleicht nur noch eine Spur auf weißer Leinwand. Und doch empfindet man deutlich, dass auch diese verwischte Spur von dem Vorhandensein der Natur ausgeht.

Oberflächlich ist da der, welcher von unverständlicher, abstrakter oder gegenstandsloser Kunst spricht. Wenn etwas in Form und Farbe seinen Ausdruck findet, kann es dann gegenstandslos sein? Ich weiß es nicht, oder ich weiß es noch nicht. Jedenfalls habe ich bis heute noch kein gegenstandsloses Bild gesehen. Ich weiß, dass viele meiner Kollegen und viele Künstler hart um ihre Ideen ringen. Sie suchen sie zu verwirklichen, verstehen darunter aber keineswegs die getreue Wiedergabe eines von der Natur vorgegebenen Bildes. Sehen heißt, gleichzeitig nach außen wie nach innen zu schauen. Deshalb ist jeder von uns bestrebt, seine Ideen und sein Erlebtes in eigener Sprache neu sichtbarzu machen. Die Umwandlung einer Idee in eine fassbare, einmalige und wesentliche Gestalt, das ist die schöpferische Tat des Künstlers. Er hebt Gesehenes sowie Erlebtes in seine eigene, sehr persönliche Sprache und macht es dadurch neu sichtbar. Um dies zu erreichen, ist oft jahrelange Arbeit notwendig, in welcher das Werk langsam wächst und sich seiner Vollendung nähern kann.

Wenn ich an meine Anfänge zurückdenke, auch an meine Studienzeit, so bin ich damals doch recht unkompliziert an die Arbeit gegangen. Erst im Verlauf der Jahre und der stetigen Auseinandersetzung mit meinen eigenen Ideen und Vorhaben wurde meine Arbeit immer schwieriger. Ich begann meine Fehler zu entdecken, wusste, wie es sein müsste, war aber off nicht in der Lage es auch umzusetzen. Und wenn ich dies erkannte, folgte die Enttäuschung sofort. Es gab lange Phasen der Unzufriedenheit und Zweifel, wenn mich diebohrende Frage nicht mehr losließ, ob der von mir eingeschlagene Weg auch richtig sei. Erst wenn ich einen gewissen Abstand zu mir selbst und zu meinen Zweifeln gewonnen hatte, konnte ich wieder Kraft aus mir selbst schöpfen, eben jene Kraft, die nötig ist, um frei und mit Tatendrang vor die Staffelei zu treten. In diesem Prozess aus Nähe und Distanz zu sich selbst, entwickelt sich ein künstlerisches Umsetzungsvermögen, welches es wieder möglich macht, seine gespeicherten Eindrücke bildlich umzusetzen. Man braucht Zeit, um frei zu werden, um das Wesentliche zu erkennen und auch, um sich von seinen Vorbildern zu trennen. Der Tag kommt, und er kommt plötzlich, an dem man begriffen hat, wie ein Bildaufbau zu sein hat und wie die verschiedenen Formen zueinander geordnet werden können. Man überlässt nichts dem Zufall. Alles wird streng kontrolliert und aufeinander abgestimmt, bis die Komposition stimmt. Die äußeren vier Seiten des Bildes waren der Ausgangspunkt. Man hat in der inneren Fläche eine neue Beziehung hergestellt. Jetzt braucht man nur noch die richtige Farbe an die richtige Stelle zu setzen, und das Bild ist fertig. Ich finde mich in dem, was entstanden ist, wieder. Ich habe verstanden, dass mein ganzes Leben im Dienste eines Schönheitsbegriffes stehen wird, in welchem die Idee und die innere, eigene Wahrheit zusammenfließen, und dass es sich keinem anderen Denken zu verschreiben hat als dem meinen.